Geschichte der Stabsstelle

Aufbau von Wissen, Kompetenz und Reichweite

Seit dem Jahr 2013 gibt es im Bereich der Nordkirche eine fachliche Stelle für die Prävention sexualisierter Gewalt und für die Intervention bei Vorkommnissen. Denn nach der Aufdeckung erschreckender Taten durch mutige Aussagen betroffener Menschen wurde klar: Eine professionelle Antwort für Schutz und Vorsorge ist geboten.

2010 Aufdeckung von Missbrauchsfällen

In den 2010er Jahren wird durch Aufdeckung von Missbrauchsfällen auch in der Nordkirche deutlich, dass kirchliche Strukturen für sexualisierte Gewalt genutzt wurden und werden können. Beispiele sind die Taten im Missbrauchskomplex in der Kirchengemeinde Ahrensburg mit Taten in den 1970er und 1980er Jahren, im Margaretenhort in Harburg in den 1970er bis Mitte der 1980er Jahre und in einer evangelischen Kindertagesstätte in Hamburg-Schnelsen ab 2011.

In der unabhängigen Aufarbeitung zeigte sich, dass Verantwortliche der Kirche außerdem Hinweise nicht ernst genommen oder Täter gedeckt hatten. Das von betroffenen Menschen erlittene Unrecht ist und bleibt erschreckend. Die Institution übernimmt heute die Verantwortung für dieses Versagen.

2011 Gründung der PIH-K auf Bundesebene

Auf EKD-Ebene (Evangelische Kirche in Deutschland) wird die so genannte PIH-K gegründet. Die Konferenz für Prävention, Intervention und Hilfe in Fällen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung besteht aus den fachlichen Expert*innen, die sich in den Fachstellen der Landeskirchen und der Diakonie sowie in anderen evangelischen Organisationen gegen sexualisierte Gewalt einsetzen. Das Gremium bündelt Fachkompetenz, um die Entwicklung nachhaltiger Präventionsmaßnahmen und Handlungsstrategien weiter voranzubringen und Best-Practice-Lösungen auszutauschen.

2012 Anerkennung in der Nordkirche

Im Jahr 2012 entwickelt die Nordkirche gemeinsam mit Betroffenen das Konzept für „Unterstützungsleistungen für Opfer bzw. Betroffene von sexuellem Missbrauch in Anerkennung ihres Leides und in Verantwortung für die Verfehlungen der Institution“.

Sie gründet eine unabhängige Unterstützungsleistungskommission, in der die Kirche Betroffene anhört und begleitet. Das Ziel ist, eine Anerkennung ihres Leids und eine Verantwortungsübernahme zu erfahren. Außerdem sollen gemeinsam vereinbarte Unterstützungsleistungen für betroffene Menschen im Bereich der Nordkirche deren Weg erleichtern. Das Verfahren wird von einer Arbeitsgruppe erarbeitet, an der neben Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg/Lübeck-Lauenburg) und ihren Mitarbeitern auch Betroffene als Vertreter des Vereins „Missbrauch in Ahrensburg" sowie zwei externe Experten für Opferhilfe teilnehmen.

Mitglieder der Kommission sind ab 2012 eine Vertreterin des Bischofsrates (Bischöfin Fehrs, Vorsitz), ein Mitglied der Synode und der Kirchenleitung, ein Mitglied des Finanzbeirates und eine/r fachkundige/r Psychotherapeut/in. 

2013 Gründung der Koordinierungsstelle Prävention

In diesem Jahr wird eine "Koordinierungsstelle Prävention" bei Fragen sexualisierter Gewalt und sexuellen Grenzverletzungen eingesetzt. Sie wird von der Landeskirche zunächst befristet eingerichtet und juristisch besetzt. Sie übernimmt die Aufgabe, grundlegende Schritte, Konzepte und Vorkehrungen in Richtung Prävention und Aufarbeitung für die Nordkirche zu erarbeiten.

2014 Aufarbeitung zum Fallkomplex Ahrensburg

Am 03.10.2014 wird ein Untersuchungsbericht zum Missbrauchsgeschehen in Ahrensburg und Schnelsen vorgelegt. Sein Titel lautet „Schlussbericht zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Gebiet der ehemaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, heute Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland“.

Die unabhängige Kommission, die eine hohe Zahl betroffener wie beteiligter Menschen hört und die Zusammenhänge untersucht, stellt auf knapp 500 Seiten gravierende Mängel im Umgang mit sexualisierter Gewalt fest. Das Dokument enthält zahlreiche Forderungen für präventive Maßnahmen und bewussteren Umgang mit der Gefahr sexualisierter Gewalt. Im Folgenden nimmt die Kirche die Aufgabe an, sowohl strukturell als auch fachlich für Prävention, Aufarbeitung und Intervention zu sorgen. Der Link oben führt zum umfangreichen Schlussbericht, hier findet sich eine 30-seitige Zusammenfassung des Schlussberichts.

2014 Umsetzung der Empfehlungen

Die Kirchenleitung der Nordkirche zieht Konsequenzen. Am 21. November 2014 reagiert sie mit einem 10-Punkte-Plan, der Empfehlungen aus dem Schlussbericht ableitet.

Auf Basis des Expert*innenrats gibt die Kirchenleitung die Erarbeitung von Konzepten für Prävention und Intervention in Auftrag. Wichtige Maßnahmen sind:

  • Die Einrichtung einer kirchenunabhängigen Beratungsstelle. Daraus entsteht in Kooperation mit dem Trauma- und Beratungszentrum Wendepunkt e. V. die UNA – Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt im Bereich der Nordkirche.
  • Aus der Koordinierungsstelle wird eine interdisziplinär aufgestellte „Arbeitsstelle gegen sexualisierte Gewalt“ mit Fachkompetenz in Prävention wie Krisenintervention mit Sitz in Hamburg.
  • Die Einführung einer Verpflichtungserklärung für ein grenzachtendes Verhalten
  • sowie die Anforderung, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis einzureichen, für Personen, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind.
  • Weitere Punkte sind unter anderem eine Orientierung an der Betroffenenperspektive, fachlich versierte Krisenintervention, eine klare Unterscheidung von Dienstaufsicht und Seelsorge.

2017 Evaluation des Verfahrens der Unterstützungsleistungen

Die Nordkirche lässt das Verfahren der Unterstützungsleistungen und das Wirken der Unterstützungsleistungskommission unabhängig evaluieren.

Laut den Forschenden der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf bewertet die Mehrheit der befragten Betroffenen das System als überwiegend positiv, zum Teil sehr positiv – bei einzelnen negativen Gesamturteilen. Hier ein Zitat aus dem Abschlussbericht der Evaluation: „Diese Gesamtbewertungen stellen ein anderes Bild dar, als die in der Presse vorgebrachte Kritik von Betroffenenseite nahelegt, z. B. dahingehend, dass die Forderungen nach Aufarbeitung, Hilfe und Genugtuung nicht erfüllt worden seien oder dass Opfer von oben herab behandelt würden“ (Seite 74, Evaluationsbericht).

Die Untersuchung zeigt, dass die befragten Betroffenen, die Lotsen sowie die Kommissionsmitglieder selbst überwiegend zufriedenstellende Erfahrungen mit dem Verfahren gemacht hatten. Die Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen Betroffener kennzeichnet das Verfahren von Anfang an. Zugleich wurden Empfehlungen aus der Evaluation für mehr Zugänglichkeit, Information für Betroffene über das Verfahren und Öffentlichkeitsarbeit als Auftrag übernommen.

 

2018 Ein Präventionsgesetz tritt in Kraft

Am 01. März 2018 beschließt die Landessynode der Nordkirche ein wegweisendes Präventionsgesetz. Damit schafft sie als erste Gliedkirche der EKD eine kirchenrechtliche Grundlage, um auf allen Ebenen grenzachtende Kommunikation und Klarheit zum Schutz vor sexualisierter Gewalt zu gewährleisten. Das Gesetz regelt die Standards zum Schutz vor sexualisierter Gewalt und allen Formen sexueller Grenzüberschreitung, ganz besonders bei anvertrauten Kindern und Jugendlichen. Auch Beratung und Maßnahmen für betroffene Menschen, Regelungen für Mitarbeitende genau wie Maßgaben für die Intervention sind festgeschrieben. Sie werden in Folge landeskirchenweit umgesetzt.

Die Regelungen, in Kraft getreten am 17. April 2018, gelten überall: auf Ebene der Landeskirche, für Kirchenkreise und Kirchengemeinden sowie für die Landesverbände der Diakonischen Werke. Das Gesetz installiert Präventions- und Meldebeauftragte für jeden Kirchenkreis, jedes der Diakonischen Werke und die Hauptbereiche der Kirche. Alle Dienste und Werke sollen ihre Glieder zur Beachtung des Kirchengesetzes verpflichten.

 

2018 EKD-Beschluss zu Aufarbeitung und umfassender Aufarbeitungsstudie

Im Jahr 2018 weitet auch die EKD-Synode die Maßnahmen zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt aus. Das höchste demokratische Gremium der Evangelischen Kirche in Deutschland beschließt auf seiner Tagung vom 11. bis 14. November 2018 in Würzburg einen 11-Punkte-Plan für die EKD. Diesen stellt Bischöfin Kirsten Fehrs (Nordkirche, Sprengel Hamburg/Lübeck-Lauenburg) in einem Bericht vor. Hier verlinkt finden Sie den Videomitschnitt sowie den Text der Rede von Bischöfin Fehrs. Wichtige Ziele sind unter anderem:

  • Eine stärkere Beteiligung betroffener Personen bei Maßnahmen bei der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt in der Kirche.
  • Ein Beauftragtenrat auf Leitungsebene: Aus beiden Maßgaben entwickelt sich nach einer Erfahrung des Scheiterns das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt. Hier werden alle Fragen, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie betreffen, von Betroffenenvertreter*innen und kirchlichen Vertreter*innen gemeinsam bearbeitet.
  • Institutionelle Aufarbeitung: Ziel ist eine unabhängige wissenschaftliche Studie, die die systemisch bedingten Risikofaktoren speziell der evangelischen Kirche untersuchen soll. Aus diesem Punkt entsteht die Studie ForuM. Nach Entwicklung und Präzisierung des Forschungsvorhabens im Jahr 2019 wird sie ausgeschrieben. Ende 2020 nimmt die Forschungsgruppe die Arbeit auf. Die Ergebnisse werden Anfang 2024 erwartet.
  • Unabhängige zentrale Ansprechstelle der EKD: Von Betroffenen wurde eine mangelnde Auffindbarkeit von kirchlichen Beratungs- und Hilfsangeboten kritisiert. Installiert wird die Zentrale Anlaufstelle.help als bundesweite Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie.
  • Weitere Punkte betreffen u. a. die Hinwirkung auf die Möglichkeit zur Entbindung von der Schweigepflicht, falls in der Seelsorge sexualisierte Gewalt anvertraut wird, außerdem die Stärkung der PIH-K und Zusammenarbeit mit der oder dem UBSKM als Unabhängige*r Beauftagte*r der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. 

2022 Erweiterung der Stabsstelle Prävention

Die Kirchenleitung ist überzeugt, dass die Prävention sexualisierter Gewalt entscheidend ist für die Zukunftsfähigkeit der Kirche. Schutz vor sexualisierter Gewalt muss auf Dauer gewährleistet sein. Darum erfährt die Stabsstelle Prävention eine Erweiterung und Entfristung von Stellen.

Das Ziel ist ein spezialisiertes Fachteam, das in der Nordkirche den Rahmen setzt für professionelle Prävention, Intervention und Aufarbeitung mit

  • Leitung und Stellvertetender Leitung mit Übernahme der Aufgabe des/der obersten Meldebeauftragten der Nordkirche und Geschäftsführung für die Anerkennungskommission,
  • Assistenz der Stabsstelle für Leitung und Fachteam, Organisationsaufgaben,
  • Referat Prävention für die Entwicklung von Standards der Prävention und Fortbildung für Mitarbeitende der Nordkirche, für die Vernetzung der Maßnahmen und der Präventions- und Meldebeauftragten, für Standards und Beratung zur Schutzkonzeptentwicklung,
  • Referat Intervention zur Entwicklung der Standards der Intervention, des Beratungsstabstrainings, Beratung von Leitungskräften, für Anfragen Nordkirchenweit,
  • je eine Stelle Referat Kommunikation und Referat Recht für die Verbreitung von Wissen und Inhalten und Absicherung rechtlicher Fragen zu sexualisierter Gewalt nach extern und intern und für rechtliche Fragen.