Forschung: Neue Studie zu sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen veröffentlicht
Ein Forschungsteam hat am 02. Juni 2025 die Studie „Kinder besser schützen“ vorgestellt. In einer deutschlandweiten Befragung wurden Zahlen zu Taten und zu Kontexten sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen erhoben.
Aktuelle Zahlen erhellen das Dunkelfeld
Anfang Juni hat ein Forschungsteam aktuelle Umfragedaten vorgestellt, die das Dunkelfeld von Taten und Kontexten sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen erhellen. In einer Pressekonferenz präsentierte Professor Dr. Harald Dreßing, Koordinator der Studie und Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim die Ergebnisse.
Fast 13 Prozent der Befragten erlebten sexuelle Gewalt in der Kindheit
Laut der Studie hat jede fünfte Frau und jeder 20. Mann in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erfahren. Erstmals zeige die Erhebung das Ausmaß und die Verteilung auf Tatorte jenseits der katholischen und evangelischen Kirche, so Dreßing. Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin: Mehr als 37 Prozent der Befragten, die Betroffenheit angaben, hat bisher niemandem persönlich das erfahrene Unrecht offenbart.
Für die Studie wurden im Jahr 2024 bundesweit 10.000 Menschen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren angeschrieben. Etwas mehr als 3.000 Personen nahmen an der Befragung teil.
Die wichtigsten Erkenntnisse von „Kinder besser schützen“
- Die Studie stellt fest, dass Mädchen und weibliche Jugendliche (20,6 Prozent) sehr viel häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen waren als männliche Jugendliche (4,8 Prozent).
- Bei fast einem Drittel der Fälle (31,7 Prozent) spielten digitale Kanäle wie Social Media, Messenger-Dienste und Chats eine wichtige Rolle.
- Der weitaus größte Teil der Betroffenen gab einen männlichen Täter an. Nur 4,5 Prozent der befragten Personen haben sexualisierte Gewalt durch eine Frau erfahren.
- Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen (54,1 Prozent) erlebte einmal, die andere Hälfte (45,9 Prozent) mehrmals sexualisierte Gewalt.
Tatkontexte: Familie und Freundeskreis, Sport, Freizeit, Kirche und Familienhilfe
Die Studie zeigt, dass Mädchen häufiger im Verwandten- und Freundeskreis betroffen waren. Dies war mit rund einem Drittel der am häufigsten genannte Tatzusammenhang bei weiblichen Befragten. Jungen erleben sexualisierte Gewalt demnach häufiger in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Kontext und im Rahmen der Jugend- und Familienhilfe.
7,4 Prozent der Betroffenen gaben an, Strafanzeige gestellt zu haben. Eine Entschädigung wegen der erlittenen sexualisierten Gewalterfahrung erhielten 2,3 Prozent.
Studienleiter Professor Harald Dreßing appellierte an Politik und Gesellschaft, die Aufklärungsarbeit und die Entwicklung von geeigneten Präventionskonzepten zu intensivieren. Es brauche bessere Schutz- und Interventionskonzepte für Kirchen, Sportvereine und im beruflichen Umfeld.
Studiendesign
Bundesweit wurden 92 Städte oder Gemeinden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Dann bekamen 100 Personen pro Kommune im Alter zwischen 18 und 59 Jahren einen anonymen Fragebogen per Post oder online zugeschickt.
Der Befragung lag ein strukturierter Fragebogen zugrunde. Es wurde nach spezifischen Tatbereichen, Tatzusammenhängen, der Tatanbahnung und der Offenlegung gefragt. Auch die Folgen der Tat für das heutige Leben sowie der Bedeutung der sozialen Medien für die Missbrauchshandlungen waren Gegenstand.
Die Studie wurde vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit initiiert und im Rahmen einer Kooperation des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit zusammen mit der Kinder-und Jugendpsychiatrischen Klinik in Ulm und dem Kriminologischen Institut in Heidelberg durchgeführt. Das Umfrageinstitut infratest dimap war mit der Umsetzung beauftragt.
Finanziert wurde die Studie mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute und finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds.
Einschränkungen
Zugrunde lag eine weite Definition von sexualisierter Gewalt, die jede Handlung mit sexuellem Bezug,
die gegenüber Personen unter 14 Jahren oder gegen den Willen einer Person unter 18 Jahren
geschieht. Sie umfasst Handlungen mit und ohne Körperkontakt wie sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung bis zu körperlichen Handlungen gegen den Willen der Person. Unter sexualisierter Gewalt wurde ebenso das Annähern von Täter*innen im Internet und über soziale Netzwerke verstanden.
Es ist bei Studien nicht auszuschließen, dass vermehrt Menschen zur Rücksendung motiviert sind, die aufgrund eigener Erlebnisse sensibilisiert sind.
Weiterführende Informationen
Titel der Studie
„Kinder besser schützen. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche
in Deutschland – ein Blick ins Dunkelfeld.“ Mannheim, 02.Juni 2025
Forschungsteam
Harald Dressing, Andreas Hoell, Leonie Scharmann, Anja M. Simon, Ann-Christin Haag, Dieter Dölling, Andreas Meyer-Lindenberg, Jörg M. Fegert
Publikation und Charts
„Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Eine bundesweite, auf Repräsentativität ausgelegte Befragung zu Prävalenz, situativem Kontext und den Folgen.“
Deutsches Ärzteblatt, Jg. 122, Heft 11, 285-291.
DOI: 10.3238/arztebl.m2025.0076
https://www.aerzteblatt.de/10.3238/arztebl.m2025.0076
Hier finden Sie die Folien zur Studie, die auf der Pressekonferenz vorgestellt wurden
